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Insulin und Triple-Therapie – ein Fallbericht

Bei einem 82-jährigen Diabetiker wird eine Ulkuserkrankung diagnostiziert, der Schnelltest auf Helicobacter pylori ist positiv.

Sein Diabetes besteht seit 32 Jahren, aktuell wird er in einer intensivierten Therapie mit Basalinsulin (Insulin Detemir, 32 Einheiten 1x tägl. zur Nacht) und kurzwirksamem Insulin (Aspart, 3x tägl. zu den Mahlzeiten nach Glucosespiegel) behandelt. Seine Glucosewerte sind stabil, der HbA1c liegt bei 7,3%.

Nun erhält der Patient eine H. pylori-Eradikationstherapie mit 500mg Clarithromycin, 1000mg Amoxicillin und 40mg Pantoprazol (2x tägl.), zunächst für 7 Tage.

Am 5. Tag der Tripletherapie und in der folgenden Nacht stellt sich eine Hypoglykämie ein mit einem Glucosewert von 42mg/dl. Der Patient ließ das Clarithromycin am 6. Tag aus und setzte sich am 7. Tag mit dem Apotheker in Verbindung. In Absprache mit dem Arzt wurde die Dosis des Basalinsulins auf 15 Einheiten herab- und Clarithromycin wieder angesetzt. Wegen der Therapieunterbrechung wurde entschieden, die Tripletherapie weitere 7 Tage fortzusetzen.

Nach 5 weiteren Einnahmen der Tripletherapie gab es erneut eine Hypoglykämie in den frühen Morgenstunden. Daraufhin wurde das Basalinsulin erneut um 1/3 der Dosis reduziert, und das kurzwirksame Insulin sollte der Patient auslassen, falls der Blutzucker unter 90mg/dl läge.

Die weitere Therapie wurde gut vertragen. 2,5 Tage nach Ende der Tripletherapie wurde das Basalinsulin wieder auf die ursprüngliche Dosis erhöht, auch hiernach gab es keine Hypoglykämien mehr.

Fragen:

  • Ist von einem kausalen Zusammenhang auszugehen?
  • Ist eine Erklärung für das Geschehen denkbar?

19 Gedanken zu „Insulin und Triple-Therapie – ein Fallbericht“

  1. Pingback: Newsletter Nr. 03/2013 | Campus Pharmazie

  2. Hallo liebe Kollegen,
    ja, Clarithromycin war mein erster Gedanke, als ich den „Teaser“ gelesen habe, aber das ist bei der Beschreibung dann eher nicht die Antwort. ;-))
    Dann werde ich mal weiter grübeln.
    Herzliche Grüße
    Constanze Schäfer

    1. Es ist zwar nicht beschrieben, aber es könnte durchaus möglich sein, dass der Patient aufgrund der zweifachen Antibiotikabehandlung Durchfall bekommen hat, wodurch die tägliche Kalorieneinnahme reduziert war, weshalb die übliche Insulindosis zu hoch war und somit Hypoglykämien auftraten.

        1. Liebe Alle!
          Weiter unten, bei der Betrachtung des zeitlichen Ablaufs dieses Fallberichts, waren wir bei den Kausalitätskriterien für UAW. Frau Lim hat mit ihrer Nachfrage nach dem Durchfall ein weiteres Kausalitätskriterium berücksichtigt: die Erklärung des Symptoms durch andere Auslöser. Die Wahrscheinlichkeit der Kausalität ist natürlich höher, wenn sich keine alternativen Erklärungsmöglichkeiten finden lassen.

  3. Pingback: Cefalexin – Amlodipin | Campus Pharmazie

  4. In der Literatur ist tatsāchlich ein Zusammenhang zwischen einer Tetrazyklintherapie und der Insulingabe beschrieben (siehe Link).
    Tetrazykline wie Clarithomycin erhõhen die Insulin-Sensitivität, verlängern die Halbwertszeiten von Insulin und verändern auch die Plasmaproteinbindungen bei den Sulfonylharnstoffen.

    1. Liebe Ariane,
      das ist ja auch ein spannender Fall (Hypoglykämien durch Doxycyclin allein) – vielen Dank dafür. Das Clarithromycin gehört allerdings in die Makrolid-Schublade. Aber vielleicht gibt es da ja vergleichbare Befunde?
      Liebe Grüße,
      Dorothee

  5. Das Interessante ist, das der Effekt immer am 5. Tag, also mit Verzögerung auftritt. Normalisiert hat die Situation dann immer recht schnell nach Absetzen. Das spricht nicht unbedingt für Durchfall. Es widerspricht ihm aber auch nicht wirklich.
    Auf 3 Interaktionscheck war jedenfalls nichts in diese Richtung zu finden. Im Moment bin ich auch etwas ratlos. Vielleicht habe ich oder jemand anderes ja noch eine zündende Idee.
    Ein Ansatzpunkt kann noch die pH-Erhöhung im Magen durch Pantoprazol sein. Aber dieser Effekt betrifft eigentlich nicht die Kalorienzufuhr und tritt schneller auf, als nach 5 Tagen.

    1. Liebe Frau Schmidt,
      Sie haben zwei sehr interessante Punkte aufgezeigt: die Dauer zwischen (Wieder-)Ansetzen des Clarithromycins und den Symptomen und die pH-Erhöhung durch das Pantoprazol.
      Die Dauer ist zwar bei den beiden Situationen unterschiedlich: erst 5 Tage, also 10 Dosen, dann 5 Dosen, also 2,5 Tage. Aber trotzdem deutet das daraufhin, dass die Pharmakokinetik (also der Verlauf der Plasmakonzentration über die Zeit) hier von Bedeutung sein könnte. Dass die Hypoglykämie beim 2. Mal schneller eintritt, könnte daran liegen, dass das Clarithromycin noch nicht vollständig eliminiert war und es darum bis zum Wiedererreichen des maximalen Plasmaspiegels nicht so lange dauert. WENN wir denn davon ausgehen, dass das Clarithomycin an der Hypoglykämie beteiligt ist. Gibt es etwas, das dafür spricht?

      Der veränderte Magen-pH beeinflusst die Kalorienzufuhr wahrscheinlich nicht, da haben Sie Recht. Könnte er andere Veränderungen bewirken?
      Fragt sich und alle
      Dorothee Dartsch

  6. Ich habe mich jetzt noch einmal intensiver mit dem Thema befasst. Lt. Fachinformation von Sandoz erhöhen Antazida, Ranitidin und Omeprazol die Plasmakonzentration von Clarithromycin. Da erscheint ein Zusammenhang mit dem Magen-pH doch wahrscheinlich. Ich bin mir allerdings noch nicht klar, welche Auswirkungen das auf die Insulinwirkung haben soll. Ich hatte zuerst vermutet es könne eine Hemmung der Inaktivierung vorliegen. Soweit ich das überblicke, ist das unwahrscheinlich, da diese jeweils der des Humaninsulin entspricht. Es könnte auch mit dem subcutanen Depot von Insulin detemir zu tun haben. Auch Clarithromycin ist lt. Fachinfo in nennenswerten Konzentrationen im Gewebe vorhanden. Ich habe aber bisher nichts darüber gefunden, wie das ablaufen soll. Insbesondere ist mir nicht ganz klar, wo beide Substanzen genau im Gewebe zu finden sind. Vielleicht hat ja jemand anders da eine Idee.
    Carola

  7. Noch als Ergänzung:
    Der obige Patient setzt nur Clarithromycin ab. Amoxicillin und Pantoprazol nimmt er offensichtlich weiter ein. Trotzdem normalisiert sich die Situation. Das spricht sicher für eine deutliche Rolle des Clarithromycin. Die Insulindosis wird 2mal reduziert, erst die 2 Reduktion führt zu einer stabilen Situation. Das heißt auch: Der Effekt ist offensichtlich über lange Zeit anhaltend und nach den ersten fünf Tagen noch nicht auf seinem höchsten Niveau. Auch dies stützt die These von der Wechselwirkung im Gewebe (Verteilungsvolumen, relativ groß). Was mir fehlt ist leider die nötige Info zu den genauen Gegebenheiten.
    Carola

    1. Liebe Frau Schmidt,
      ganz richtig, unter der Triple-Therapie werden wahrscheinlich höhere Clarithromycin-Konzentrationen erreicht als unter Monotherapie, weil C. bei höherem pH besser absorbiert wird.

      Ihre weiteren Überlegungen gehen in Richtung Möglichkeiten einer pharmakokinetischen Interaktion.
      Dazu die erste Frage: Welche andere Gruppe von Interaktionen gibt es neben den kinetischen noch? Ein Beispiel dafür hatte Frau Züst weiter oben für Doxycyclin aufgezeigt.

      Denken wir in der kinetischen Richtung weiter, gibt es in dieser Gruppe mehrere Mechanismen, die in Frage kommen. Sie haben zuerst überlegt, ob auf der Ebene der Elimination eine Interaktion stattfinden kann, Frau Schmidt, was angesichts der CYP-Inhibition des Clarithromycin auch ganz naheliegend ist. Allerdings werden Insuline durch Aufnahme in die Zielzellen und in Tubuluszellen der Niere und dortige Spaltung durch Insulin-Proteasen eliminiert. Also kein Ansatzpunkt für eine enzymvermittelte Interaktion, wie Sie auch schon geschrieben haben.

      Dann haben Sie über die Absorption aus dem subcutanen Depot nachgedacht. Auch das ein guter Gedanke: Insulin Detemir ist acyliert und bindet über diesen Acylrest an Albumin, was einen Teil des Depoteffektes ausmacht. (Der andere Teil kommt durch die Hexamerbildung zustande.) Nun hat Clarithromycin keine so ganz große Plasmaproteinbindung, aber Omeprazol mit 95% käme da schon in Frage. Wenn nicht laut Literaturangaben in therapeutischer Konzentration des Insulins die Albuminbindungsstellen so eklatant überwiegen würden, dass Veränderungen der Albuminkonzentration keine klinisch relevanten Auswirkungen haben.

      Also vielleicht keine pharmakokinetische Interaktion?

      Fragt Dorothee Dartsch

    2. Nochmal: liebe Frau Schmidt!
      genau in diese Richtung zielte meine Frage. Es gibt verschiedene Kriterien zur Beurteilung, ob ein Symptom kausal auf eine Arzneimittelanwendung zurückzuführen sein kann und darum möglicherweise eine unerwünschte Arzneimittelwirkung darstellt.

      Eins dieser Kriterien ist der zeitliche Ablauf:
      1. Das Symptom muss NACH der Anwendung auftreten. Klingt selbstverständlich, aber in der Wahrnehmung des Patienten kann es da schonmal Verschiebungen geben. Und: hätte unser Patient schon vorab unter wiederkehrenden Hypoglykämien gelitten, wäre der Zusammenhang nicht eindeutig genug.
      2. Der Abstand zwischen Symptom und Arzneimittelanwendung muss plausibel sein. 5min nach Schlucken der Antibiotika-Tbl. wäre zu kurz, aber 5min nach Injektion eines schnell wirksamen Insulins wäre schon möglich. Und manche UAW treten erst Wochen, Monate oder Jahre später auf.
      3. Nach Absetzen müssen die Symptome verschwinden, nach Wiederansetzen wieder auftreten. In den seltensten Fällen ist man in der „glücklichen“ Lage, einen solchen Ablauf beurteilen zu können – wenn UAW vermutet werden, wird die Therapie geändert, aber keine Re-Exposition versucht. Aus Sicht des Patienten verständlich. 🙂 Hier aber haben wir diesen Fall, wie Sie richtig beschrieben haben, Frau Schmidt.

      Es gibt natürlich noch mehr Kriterien zur Kausalitätsbewertung von UAW, aber die zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Austauschs hier sprengen.

      Es grüßt herzlich
      Dorothee Dartsch

  8. Ich habe noch ein bisschen weiter recherchiert. Clarithromycin hat schon als Nebenwirkung ohne Angabe der Häufigkeit (ABDA-Datenbank) Hypoglycämie. Dazu ist im höheren Lebensalter die Eliminationshalbwertzeit verlängert. Dies wird mit der reduzierten Nierenfunktion in Zusammenhang gebracht (, die durch Clarithromycin weiter verschlechter werden kann). Unser Patient ist immerhin 82 Jahre alt. Es könnte einfach ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren gewesen sein: Die Kombination Pantoprazol/ Clarithromycin hat erhöht den Plasmaspiegel von Clarithromycin, das Alter die HWZ und dadurch wird die Nebenwirkung deutlich verstärkt.
    Damit ist aber immer noch nicht der Mechanismus der Entstehung der Hypoglycämie geklärt.
    Carola

    1. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
      auch wenn Frau Schmidt es nicht glauben mag, sie hat „den Fall“ gelöst: es handelt sich wahrscheinlich um eine pharmakodynamische Interaktion, bei der die gute BZ-Einstellung unter der intensivierten Insulintherapie durch die unerwünschte hypoglykämische Wirkung des Clarithromycins (das evtl. in diesem Patienten sogar noch kumuliert) aus der Bahn geworfen wird.

      Frau Schmidt hat die ABDA-Daten herangezogen. So heißt es in der Fachinformation von Clarithromycin: „Sehr selten: eine Hypoglykämie wurde beobachtet, insbesondere nach gleichzeitiger Anwendung mit Antidiabetika und Insulin.“

      In der Literatur finden sich vereinzelt Fallberichte zu Hypoglykämien durch Kombination von Clarithromycin mit oralen Antidiabetika, die belegen, dass diese Interaktion in Einzelfällen klinisch relevant sein kann (Bussing R, Gende A. Severe hypoglycemia from clarithromycin-sulfonylurea drug interaction. Diabetes Care 2002;25:1659–61. Khamaisi M, Leitersdorf E. Severe hypoglycemia from clarithromycin-repaglinide drug interaction. Pharmacotherapy 2008;28:682–4. Leiba A, Leibowitz A, Grossman E. An unusual case of hypoglycemia in a diabetic patient. Ann Emerg Med 2004;44:427–8).

      Auch andere Antibiotika können den BZ senken, s. H Schellemann et al., Anti-infectives and risk of severe hypoglycemia in glipizide and glyburide users. Clin Pharmacol Ther. 2010 August; 88(2): 214–222. Anmerkung: Glyburide ist die amerikanische Bezeichnung für Glibenclamid.

      Für die in der Literatur beschriebenen Interaktionen muss natürlich nicht immer derselbe Mechanismus zugrundeliegen. In dem hier diskutierten Fall bleibt unklar (und das ist vermutlich das, was Frau Schmidt mit „ungelöst“ meinte), über welchen Mechanismus Clarithromycin den BZ senkt. Es gibt noch so viele Rätsel in der Wissenschaft…

      Allen herzlichen Dank fürs Mit-Diskutieren!
      Dorothee Dartsch

  9. Pingback: Newsletter Nr. 04/2013 | Campus Pharmazie

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