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Fallbeispiel Medikationsanalyse: Lösung Teil 2

„Einfache“ Medikationsanalyse am Fallbeispiel / Der Lösung 2. Teil

Analyse Lupe © fotomek | stock.adobe.com(Den Fall und den Beginn der Diskussion zwischen Rena Clear und Distrib Volum finden Sie hier und den ersten Teil der Überlegungen zur Lösung hier.)
Volum: Guten Morgen, Rena, hattest du gestern einen schönen Abend?
Clear: Ja, war ok. Ich war auf einer Fortbildung – aber leider kein Thema, das uns bei unserem Fall hilft, und da es kein Online-Seminar, sondern ein Präsenzvortrag war, war auch kein Platz für individuelle Fragestellungen.
Volum: Tja, dann müssen wir das wohl aus eigener Kraft schaffen. Also ran an den Speck.
Clear: Genau. Damit, was die Patientin haben könnte, waren wir ja durch. Nehmen wir uns doch mal die arzneimittelbezogenen Probleme vor, ja?
Volum: Ja, das hatte ich auch gedacht. Und als Erstes einen Interaktions-Check gemacht. Da ist die Wirkungsabschwächung von Codein durch Paroxetin infolge der CYP2D6-Hemmung zu nennen. Das könnte den zusätzlichen Paracetamolgebrauch erklären. Der ist kritisch, weil die Paracetamoldosis an die Obergrenze stößt, wie die beiden Elisabeths festgestellt haben, und außerdem steckt es in zwei verschiedenen Arzneimitteln, was ein großes Potenzial für Fehler beinhaltet.
Clear: Stimmt. Außerdem gibt es eine additive Blutzuckersenkung durch Pioglitazon und Lisinopril. Die ist natürlich nicht ganz unerwünscht – alles eine Frage der Einstellung.
Volum: Das Blutungsrisiko ist erhöht durch die Kombi ASS und Paroxetin. Das haben die Kollegen Uwe und Werner bemerkt, und das ist bei einem bestehenden Ulkus kritisch.
Clear: Da habe ich außerdem noch gefunden, dass auch Valproinsäure das Blutungsrisiko erhöht, weil es einerseits eine Thrombopenie verursachen kann und andererseits die Konzentrationen an Fibrinogen und Faktor VIII senkt. Wir müssen also nicht „nur“ mit einer Vitamin B12- und Folsäure-Mangel-Anämie, sondern auch mit einer Blutungsanämie rechnen.
Volum: Vielleicht können wir herausbekommen, was die akuten Beschwerden der Patientin sind, das würde sich ja bei entsprechender Ausprägung in Blässe, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kurzatmigkeit und so zeigen.
Clear: Ja, das wäre gut, wenn wir da mehr wüssten. Die Verordnungskaskade, die die Kollegen Werner und Elisabeth angesprochen haben, ist auch gut nachvollziehbar: Ulkusblutung wegen ASS, Paroxetin und Valproinsäure, daher Omeprazol und Sucralfat, letzteres führt in Kombination mit Codein zur Obstipation, daher das Sennapräparat. Und die Doppelverordnung mit dem Paracetamol hatten wir schon angesprochen. Das ist kritisch für die Leber, vor allem weil die Patientin auch noch Valproinsäure an Bord hat, die auch hepatotoxisch ist. Wie sieht es denn mit den Einnahmezeitpunkten aus?
Volum: Vielleicht nimmt die Patientin das Omeprazol nicht auf nüchternen Magen ein, weshalb es nicht die gewünschte Wirkung zeigt, so hoch dosiert und zudem noch mit Sucralfat kombiniert wird?
Clear: Das sollte auf alle Fälle nachgefragt werden, stimmt. Dann ist mir aufgefallen, dass die antihypertensive Medikation komplett morgens eingenommen wird. Diabetiker haben aber häufig nachts Blutdruckspitzen, weshalb man wenigstens einen Blutdrucksenker auf abends zu verschieben [1].
Volum: Echt? Das habe ich in der Leitlinie gar nicht gefunden, wo steht das denn?
Clear: Na ja, es gibt momentan keine eindeutige Evidenz dafür, darum ist das nicht unter den Hauptempfehlungen, aber im Kapitel 6.3.2 ist es als Vorschlag erwähnt.
Volum: Ach so, darum habe ich es nicht gefunden. Dann bleiben jetzt in der einfachen Medikationsanalyse nach BAK-Grundsatzpapier nur noch die Kontraindikationen nach Alter und Geschlecht. In der Liste ist kein „Priscus-Arzneimittel“ [2], lt. FORTA-Liste [3] ist Pioglitazon allerdings wegen des Ödemrisikos mit ‚C‘ (caution) bewertet, und unter den STOPP-Kriterien [4] finden sich Amlodipin bei Obstipation, hochdosierte PPI für mehr als 8 Wochen und ASS ohne koronare, zerebrale oder periphere vaskuläre Probleme oder pAVK.
Clear: Super recherchiert! Amlodipin und Obstipation – das müssen wir noch bei unserer Verordnungskaskade ergänzen. Und auch wenn das nicht strikt zur einfachen Medikationsanalyse gehört, habe ich schon mal überlegt, welche Laborwerte überprüft werden müssten. Nach DEGAM-Leitlinie [5] wären das wegen Valproinsäure das Blutbild, die Leberwerte, die Elektrolyte und die Gerinnung halbjährlich, und wegen des ACE-Hemmers Na, K, und die Nierenfunktion jährlich. Und Na ist außerdem wichtig wegen des SSRI, dann das wäre bei Hyponatriämie zumindest relativ kontraindiziert und fällt dann auch unter die STOPP-Kriterien.
Volum: Krass, da kommt eine ganze Menge zusammen. Was ist denn jetzt am wichtigsten?
Clear: Am wichtigsten wären mir die akuten Beschwerden, auch weil man darüber am besten mit ihren Ärzten ins Gespräch kommt. Wenn das Anämie-Symptome wären, könnte es entweder eine Blutungs- oder eine Mangelanämie sein. Anzeichen für Leberbeschwerden wären auch wichtig, wegen Paracetamol und Valproinsäure, also bei akuten Problemen Übelkeit, Erbrechen, Unterleibschmerzen, bei chronischen vielleicht ein Ikterus. Bei anhaltenden Reflux- oder Magenproblemen wird der PPI vielleicht falsch eingenommen, wenn die nicht bestehen, sollte die Dosis reduziert werden, und vielleicht ist das Sucralfat dann nicht mehr nötig.
Volum: Gut, und bei den Wirkstoffen ist wohl die hohe Paracetamoldosis kritisch, Pioglitazon ist nicht optimal, und Senna ist doch auch nicht die erste Wahl bei Obstipation, oder?
Clear: Das wären neben ausreichend Flüssigkeit und Ballaststoffen Macrogol, Bisacodyl, Natriumpicosulfat oder Glycerolzäpfchen [6]. Anthrachinone und Lactulose sind 2. Wahl bei chronischer Obstipation, aber auch vertretbar [7]. Wichtiger noch als das Laxans wären mir die Indikationen für ASS und die Schmerztherapie. Gut, dann warten wir jetzt mal ab, ob Dr. Kinet uns noch mehr über die Patientin berichten kann, ich glaube, sie ist gerade bei der Visite.
Volum: Gut, dann bis später.

Quellen:

[1] ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases 2013
[2] Holt / Schmiedl / Thürmann: Priscus-Liste
[3] Kuhn-Thiel / Weiß / Wehling: Consensus Validation of the FORTA (“Fit fOR The Aged”) List: a Clinical Tool for Increasing the Appropriateness of Pharmacotherapy in the Elderly. Drugs & Aging, 31, (2):131-140 + Supplement

[4] O’Mahoney et al.: STOPP/START criteria for potentially inappropriate prescribing in older people: version 2 (update 2014). Age Ageing 2015;44(2): 213-8 + Supplement
[5] DEGAM-Leitlinie Medikamentenmonitoring (2013, 2015)
[6] Praxiswerkzeug Therapie der Opioid-induzierten Obstipation
[7] S2k-Leitlinie Chronische Obstipation: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie, 2011

Bild: © fotomek / Fotolia.com

2 Gedanken zu „Fallbeispiel Medikationsanalyse: Lösung Teil 2“

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