Zum Inhalt springen

"Blutgerinnung" in der Umgangssprache

© Belozorova Elena | stock.adobe.com
Im Beitrag Gerinnungshemmung bei Vorhofflimmern haben wir uns bereits dem Thema „Individualisierung der gerinnungshemmenden Therapie“ gewidmet. Heute betrachten wir einen weiteren Aspekt, nämlich, ob zusätzlich zu klinischen Faktoren wie Nierenfunktion, interagierende Begleitmedikation und Vorerkrankungen auch Aspekte des Lebensstils zu berücksichtigen sind.

Traditioneller Sprachgebrauch als Signal

Seit dem Mittelalter existiert die Redewendung „das Blut gefriert (oder erstarrt) in den Adern“ für Situationen, in denen die betreffende Person sich sehr fürchtet. Die Bedeutung dieses Zusammenhangs wird dadurch unterstrichen, dass er in mehreren Sprachen zu finden ist: Furchterregende Ereignisse sind “bloodcurdling” (engl.), “à vous glacer le sang” (franz.) sowie “bloedstollend” (niederl.).
Bis heute unbeantwortet ist die Frage, ob vor diesem Zusammenhang das regelmäßige Ansehen von Horrorfilmen den Beginn oder eine höhere Dosis an Antikoagulanzien erforderlich macht. Immerhin gibt es eine klinische Cross-over-Studie hierzu, die den Einfluss auf Surrogatendpunkte gemessen hat [1]. Die Studie ist bei clinicaltrals.gov unter der Nummer NCT02601053 registriert.

Methodik

Vierundzwanzig gesunde Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren wurden in zwei Gruppen geteilt, von denen die eine zuerst einen furchterregenden Horrorfilm und dann einen harmlosen Lehrfilm gezeigt bekam, bei der anderen Gruppe war die Reihenfolge umgekehrt. Um Verzerrung zu vermeiden, wurde keiner der Filme an einem Freitag, dem 13., oder bei Vollmond gezeigt.  Außerdem waren die Probanden angehalten, während der Filmvorführung weder Alkohol zu trinken, noch zu rauchen. Zehn Minuten vor und nach jedem Film wurde den Probanden Blut zur Messung der Gerinnungsfaktoren entnommen. Beide Filme dauerten etwa 90min, und zwischen beiden Vorführungen lag Washout-Phase von sieben Tagen.
Die individuelle Furchterfahrung wurde auf einer visuellen Analogskala erfasst. Outcome-Parameter waren Faktor VIII, D-Dimere, Thrombin-Antithrombin-Komplexe und Prothrombinfragmente 1+2.

Ergebnisse

Ergebnis Nr. 1: Der Horrorfilm wurde subjektiv als furchterregender wahrgenommen als der Lehrfilm (mittlere Differenz 5.4, 95% Konfidenzintervall 4,7-6,1).
Ergebnis 2: Der Horrorflim ließ den Faktor VIII-Level stärker ansteigen als der Lehrfilm. Auf die anderen Gerinnungsparameter hatte die Art des Films keinen Einfluss.
Die Autoren interpretieren diese Ergebnisse dahingehend, dass der Horrorfilm zwar die Gerinnungskaskade aktivierte (Faktor VIII), evtl. sogar in klinisch relevantem Ausmaß, dass es aber weder zur Bildung von Thromben (Prothrombinfragmente 1+2, Thrombin-Antithrombin-Komplexe) oder Fibrin (D-Dimere) kam. Sie postulieren, dass eine adrenerge Reaktion oder die Ausschüttung von Desmopressin infolge der Furcht zur Aktivierung von Faktor VIII führen könnte.

Diskussion

Kritisch ist anzumerken, dass hier, wie in so vielen anderen Studien, ältere Menschen nicht berücksichtigt wurden. Auch waren thromboembolische Risikofaktoren explizit ausgeschlossen. Gerade Rauchen ist als Risikofaktor für thromboembolische Ereignisse gut bekannt, und eine polnische Arbeitsgruppe hat zuvor eindrucksvoll gezeigt, dass Horrorfilme das Verlangen nach Rauchen steigern [2]. Langzeiteffekte wurden ebenfalls nicht erfasst. Ob die Ergebnisse also auf den typischen antikoagulierten Real life-Patienten übertragbar sind, ist sehr fraglich.
Darüber hinaus handelt es sich um eine Surrogatendpunkt-basierte Studie, und es ist völlig unklar, ob es letzten Endes doch zu Thromboembolien kommen könnte. Weitere Studien sind zwingend nötig.
ACHTUNG: Es wird dringendst davon abgeraten, die ärztlich verordnete Gerinnungshemmerdosis auf eigene Faust zu verändern. Falls neue Studienergebnisse Anlass dazu geben, ist dieses Ansinnen mit dem Arzt zu besprechen!

Quelle

[1] B Nemeth et al., Bloodcurdling movies and measures of coagulation: Fear Factor crossover trial. BMJ 2015;351:h6367
[2] JD Sargent et al., Movie smoking, movie horror, and urge to smoke. Przegl Lek. 2009;66(10):545-7
Bildnachweis: © Belozorova Elena / Fotolia.com

Ein Gedanke zu „"Blutgerinnung" in der Umgangssprache“

  1. Pingback: Tür 20: Leitlinie Thrombozytenaggregationshemmung | Campus Pharmazie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert