Erstmals hat das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) die Zulassung eines Gentherapeutikums in Europa befürwortet. Mit Glybera® (Alipogene tiparvovec) sollen Erwachsene mit Lipoprotein-Lipase-(LPL-) Defizienz behandelt werden können, wenn sie trotz Einhaltung der nötigen fettarmen Diät unter schwerer Pankreatitis leiden.
Die Erkrankung / Indikation
LPL-Defizienz ist eine sehr seltene, autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die mit Chylomikronen-Akkumulation und 10- bis 100-fach erhöhten Triglycerid-Serumspiegeln einhergeht. (Chylomikronen transportieren die im Darm absorbierten Fette zur Leber und in andere Organe, wo die Triglyceride normalerweise durch LPL hydrolysiert und dann weiter verwendet werden.) Sie äußert sich zumeist bereits im Kindesalter durch starke, kolikartige Bauchschmerzen, wiederholte Entzündungen des Pankreas und Gedeihstörung. Die Pankreatits kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen und in eine chronische Pankreasinsuffizienz übergehen.
Therapieoptionen bisher
Die einzige Therapieoption bestand bisher in einer drastisch fettreduzierten Diät, in der weniger als 20% des Energieinhalts über Fette geliefert wird. Auf Fibrate oder Niacin zur medikamentösen Senkung der Triglyceride sprechen diese Patienten kaum an. Selbst bei Patienten, die die nötigen Disziplin und Compliance zur Einhaltung der Diät aufbringen, gelingt es selten, die Folgen v.a. für die Bauchspeicheldrüse komplett zu vermeiden.
Krankheitsursache
Neben den ca. 70 LPL-Mutationen, die die Funktion bis hin zum völligen Verlust einschränken, kann das Krankheitsbild auch durch Mutationen in mit LPL „zusammen arbeitenden“ Co-Faktoren ausgelöst werden. Da in solchen Fällen die Einschleusung intakter LPL-Genkopien nichts nützt, muss vor einer Gentherapie durch Genotypisierung sichergestellt sein, dass eine LPL-Mutation der Erkrankung zugrunde liegt.
Gentherapeutikum
Glybera® nutzt ein nicht-replizierendes und nicht ins Genom integrierendes Adeno-assoziiertes Träger-Virus, um LPL-Gene mit mutationsbedingt sogar erhöhter Funktion in Muskelzellen einzuschleusen. Da die Genkopien als epigenetisch im Zytoplasma verbleiben, ist die Behandlung trotzdem langfristig.
Klinik
Appliziert wird Glybera® unter Spinalanästhesie an mehreren Stellen intramuskulär in die unteren Extremitäten. Inzwischen gibt es Daten aus zwei Beobachtungs-, drei open-label Interventionsstudien und einer retrospektiven Auswertung von Patientenakten.
Die Verträglichkeit erscheint bis auf die zu erwartenden Reaktionen an den Applikationsstellen gut. Für die Beurteilung der Wirksamkeit lassen sich derzeit bis zu drei Jahre Follow-up überblicken: Glybera® scheint die Häufigkeit der Pankreatits-Anfälle zu senken und andere Parameter des Triglyceridstoffwechsels zu verbessern. Dabei hielt die Reduktion des Triglyceridspiegels nur einige Monate an, aber eine Veränderung der Chylomikronen, verbesserte Toleranz gegenüber Nahrungsfetten sowie eine Abnahme der Häufigkeit und/oder Intensität der Pankreatitiden war auch nach zwei Jahren noch zu beobachten. Einschränkend muss erwähnt werden, dass sie Patientenzahlen aus den bisherigen Studien noch sehr klein und alle Wirkungen noch an größeren Kollektiven zu bestätigen sind.
Fazit
Die Zulassung durch die European Medicines Agency wird nun erwartet. Aus Sicherheitsgründen soll ein Register mit Patientendaten geführt werden, das auch der EMA unmittelbar zur Verfügung steht.
Angesichts bisheriger Hoffnungen und Enttäuschungen mit Gentherapeutika (z.B. für Mucoviszidose) wird es vor allem wichtig sein, die langfristige Sicherheit und die Wirksamkeit auf „harte“ klinische Endpunkte genau zu untersuchen. Den Patientinnen und Patienten mit genetisch eindeutig definierten Erkrankungen ist ein Fortschritt in der kausalen Gentherapie absolut zu wünschen.
[Quellen: http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Press_release/2012/07/WC500130146.pdf und D. Gaudet et al., Gene therapy for lipoprotein lipase deficiency. Curr Opin Lipidol 2012, 23:310–320]
von: Dorothee Dartsch
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