© kebox | stock.adobe.comWie die Torsade de Pointes ist auch das Serotoninsyndrom sehr selten, aber gefährlich. Weit weniger selten taucht es in der Interaktionswarnung auf, weil serotonerge Wirkstoffe häufig verordnet werden.
Aktuell haben Apotheker des UK Medicines Information ein „Questions & Answers“ zum Serotoninsyndrom veröffentlich, dessen Inhalt hier in Auszügen wiedergegeben ist.
Das Serotoninsyndrom ist eine unerwünschte Wirkung (UAW) vom Typ A, es ist also dosisabhängig und setzt keine individualle Prädisposition voraus. Es setzt in der Regel binnen wenbiger Stunden nach Ansetzen oder Dosiserhöhung des Auslösers ein und klingt binnen 24h (letztlich abhängig von seiner Halbwertszeit) nach Absetzen ab. Zustände mit ähnlicher Symptomatik (daher leicht zu verwechseln) sind das maligne neuroleptische Syndrom, anticholinerge UAW und maligne Hyperthermie. Die Diagnose wird daher sowohl an der Symptomatik als auch an der Medikation festgemacht.
Enstehung
Mechanismen der gesteigerten Serotoninwirkung sind:
- Steigerung der Serotoninsynthese
- Inhibition des Serotoninabbaus
- Steigerung der Serotoninfreisetzung
- Inhibition der Serotoninwiederaufnahme
- Aktivierung von Serotoninrezeptoren
Mechanismen der Auslösung eines Serotoninsyndroms sind:
- Überdosierung eines serotonergen Wirkstoffs (z.B. durch unterbliebene Dosisanpassung an Organfunktionen oder individuelle Empfindlichkeit)
- Interaktionen: a) pharmakodynamische bei Addition mehrerer serotonerger Wirkstoffe oder b) pharmakokinetische bei Kombination eines serotonergen Wirkstoffs mit z.B. einem Inhibitor seines Metabolisierungsweges.
Symptomatik
Charakteristisch ist eine Trias aus kognitiven bzw. Verhaltensveränderungen, neuromuskulären Symptomen und autonomer Hyperaktivität:
Kognitive bzw. Verhaltensveränderungen:
- Agitiertheit
- Angst
- Desorientierung
- Ruhelosigkeit
- Aufregung
Neuromuskuläre Symptome:
- Tremor
- klonische Krämpfe (unwillkürliche, rhythmische Kontraktionen) von Muskeln oder Muskelgruppen
- Hypererregbarkeit der Reflexe
- Muskelsteifigkeit
- Babinski-Reflex an beiden Füßen
Autonome Hyperaktivität:
- Hypertonie
- Tachykardie
- Tachypnoe
- Fieber
- Mydriasis
- Schwitzen
- Trockene Schleimhäute
- gerötete Haut
- Schüttelfrost
- Erbrechen
- Diarrhoe
- hyperaktive Darmtätigkeit
- Arrhythmien
Sollte in der Apotheke ein Patient mit den folgenden Anzeichen auffallen, sollten Sie ihn direkt und ohne Umwege zum Arzt schicken bzw. den Notarzt rufen, falls der Zustand kritisch erscheint:
Einnahme eines serotonergen Medikaments und mindestens eine der folgenden zusätzlichen Symptomkonstellationen:
- spontane klonische Krämpfe
- [durch Reize auslösbare Klonien oder klonische Augenbewegungen] und [Agitiertheit oder Schwitzen]
- Tremor und Hyperreflexivität
- Hypertonie und Fieber über 38°C und [durch Reize auslösbare Klonien oder klonische Augenbewegungen]
Diese Kombinationen entsprechen den ‚Hunter serotonin toxicity criteria‘, die als sensitiver als die Sternbach-Kriterien gelten.
Potenzielle medikamentöse Auslöser
Zu den wichtigen Auslösern gehören:
- SSRI: Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
- SNRI: Venlafaxin, Duloxetin
- MAO-Hemmer: Tranylcypromin, Phenelzin, Moclobemid
- Trizyklische Antidepressiva: Clomipramine, Imipramin, Amitriptylin, Doxepin, Nortriptylin, Trimipramin
- Andere Antidepressiva: Lithium, Trazodon, L-Tryptophan (auch an Gehalt in Nahrungsmitteln denken), Mirtazapin, Dapoxetin, Vortioxetin
- Opioide: Pethidin, Tramadol, Methadon, Fentanyl, Dextromethorphan, Pentazocin, Oxycodon, Tapentadol
- Parkinson-Therapeutika: Selegilin, Rasagilin, Levodopa, Amantadin, Safinamid
- Antiinfektiva: Linezolid
- Tumortherapeutika: Procarbazin
- Antikonvulsiva: Carbamazepin, Valproat
- Antiemetika: Metoclopramid, Ondansetron, Granisetron
- Antihistaminika: Chlorphenamin, Diphenhydramin
- Migränetherapeutika: Triptane (See UKMi Q&A 48), Dihydroergotamin
- Mittel zur Raucherentwöhnung: Bupropion
- Anxiolytika: Buspiron
- Phytopharmaka: Johanniskraut
- Diagnostika: Methylenblau
Therapie
Wichtigste Maßnahme ist das sofortige Ab- bzw Ersetzen serotonerger Wirkstoffe, daneben kommen supportive Maßnahmen zum Einsatz.
Quelle
McKie: What is serotonin syndrome and which medicines cause it?. UKMi Questions & Answers 219.4, 06.12.2016
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