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Sturzrisiko und Arzneimittel

© Felix Hu | pixabay

Manche Arzneimittel zählen zu den sturzbegünstigenden Faktoren im Alter. Bei welchen es sich besonders lohnt, innerhalb der Medikationsanalyse die Möglichkeit des Absetzens zu prüfen, um das Sturzrisiko zu verringern, lesen Sie in diesem Artikel.

Frakturen, z. B. Oberschenkelhals- und Wirbelkörperbrüche, können eine dauerhafte Abnahme der Mobilität und Fähigkeit zur selbstständigen Versorgung sowie Sturzangst zur Folge haben. Aktionsradius und Aktivitäten sowie letztlich die Lebensqualität leiden darunter.

Im Alter treffen oft mehrere der folgenden sturzbegünstigenden Erkrankungen oder Erscheinungen zusammen:

  • Schwindel
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Hypotonie / Orthostaseneigung und Arrhythmien mit der Folge von Synkopen
  • eingeschränkte Hör- und Sehfähigkeit
  • Gangstörungen (Morbus Parkinson, Arthrosen, Muskelschwäche, z.B. durch periphere Neuropathien oder Sarkopenie)
  • kognitive Einschränkungen (Demenzen)
  • chronische Schmerzzustände
  • diabetische Entgleisungen, häufig Hypoglykämien
  • Schlafstörungen mit Phasen übermäßiger Müdigkeit, Nykturie

Und eben die sturzbegünstigenden Medikamente (englisch „fall-risk increasing drugs“, kurz „FRIDs“). Die folgenden Wirkstoffgruppen sollten bei Menschen mit den o.g. Erkrankungen mit der Frage unter die Lupe genommen werden, ob sie abgesetzt oder durch andere Therapeutika mit geringerem Risiko ersetzt werden können (n. [1-4]:

  1. Benzodiazepine, v.a. langwirksame (z.B. Bromazepam, Clobazam, Clonazepam, Chlordiazepoxid, Diazepam, Flunitrazepam, Flurazepam, Medazepam, Prazepam)
  2. Antipsychotika mit sedierender, anticholinerger u./o. Alpharezeptor-Wirksamkeit (z.B. Clozapin, Chlorprotixen, Thioridazin, Perazin)
  3. Opioide, v.a. starkwirksame (z.B. Pethidin)
  4. Antidepressiva, v.a. sedierende, anticholinerge oder solche, die orthostatische Hypotonie verursachen können (z.B. Trizyklika, Fluoxetin, Tranylcypromin)
  5. Antiepileptika, v.a. ältere, sedierende Generationen (z.B. Diazepam, Gabapentin, Mesuximid, Perampanel, Phenobarbital)
  6. Diuretika, v.a. Schleifendiuretika (Furosemid, Torasemid, Piretanid)
  7. Alpha-Blocker f. BPH, v.a. unspezifische (z.B. Doxazosin, Alfuzosin, Terazosin)
  8. Antihistaminika, v.a. erste Generation, mit sedierenden o. anticholinergen Wirkungen (Promethazin, Clemastin, Dimenhydrinat, Diphenhydramin, Doxylamin, Hydroxyzin))
  9. Vasodilatatoren (Clonidin, Moxonidin, Methyldopa)
  10. Urologische Anticholinergika, v.a. unspezifische mit zentraler Wirkung (z.B. Oxybutynin, Solifenacin)

Ein Online-Tool zur Entscheidungsfindung bezüglich dieser Gruppen (in englischer Sprache) befindet sich hier: https://kik.amc.nl/falls/decision-tree/. Es fragt danach, ob eine „passende“ Indikation gegeben ist, und wenn ja, ob es sicherere Alternativen gibt. Je nach Antwort folgen Hinweise, worauf bei der Umstellung oder Fortführung der Therapie zu achten ist.

Solche Listen erleichtern die Beurteilung, beruhen aber in aller Regel auf Beobachtungen und Erfahrungen statt auf randomisierten kontrollierten Studien. Der Einfluss von Störgrößen (Confounder), die nur den Eindruck einer Kausalität erzeugen, ist insofern nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus ist für jeden Patienten eine individuelle Nutzen-Risiko-Bewertung und Entscheidung erforderlich: Manchmal sind FRIDs die bessere Strategie, weil die Alternativen nicht vertragen wurden oder nicht ausreichend wirksam waren. Manchmal kommen Faktoren hinzu, die die Folgen eines Sturzes noch verschärfen, wie z.B. Osteoporose oder ein hohes Blutungsrisiko, und auf der Risikoseite mit bedacht werden müssen.

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Bildnachweis: © Felix Hu | pixabay

Literatur

[1] Thiem: Welche Medikamente begünstigen Stürze? MMW Fortschr Med. 2022; 164 (14):34-37

[2] Seppala LJ: Development of interactive, online deprescribing tool for FRIDs (fall-risk increasing drugs. Age and Ageing 2021; 50: 1189–1199

[3] Rose / Friedland: Angewandte Pharmakotherapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (WVG). ISBN 978-3-8047-3736-5. 1. Aufl. 2015

[4] Mussawy: Arzneimittel im Alter. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart. ISBN 978-3-8047-3614-6 . 1. Aufl. 2018

Ein Gedanke zu „Sturzrisiko und Arzneimittel“

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